Teil Drei: Die messbaren Auswirkungen von unberücksichtigtem Nutzerverhalten

Aus: Smarte Bürogebäude – Fluch oder Segen? Menschliche Bedürfnisse und die „Smartifizierung“

Wie kann die Robustheitsanalyse genutzt werden, um die Auswirkungen von falschen Annahmen in Gebäudeplanungsprozessen abzuschätzen? Welche empirischen Daten gibt es? Im Gegensatz zu den ersten Teilen dieser Artikelserie „Smarte Bürogebäude – Fluch oder Segen?“ liegt der Fokus in diesem Bericht nicht auf den menschlichen Bedürfnissen und Verhaltensweisen, sondern in deren Auswirkungen auf den Energieverbrauch.

Heute neu gebaute und sanierte Gebäude sind in Bezug auf die Energieeffizienz hochoptimiert, zumindest, soweit die Wirtschaftlichkeit das zulässt. Dabei wird für die Prognose des Energieverbrauchs eines geplanten Gebäudes mit einem Modell gerechnet. Modelle sind immer mehr oder weniger detailliere Abbildungen der Realität. Oft müssen Annahmen z.B. zur zukünftigen Nutzungsintensität getroffen werden. Das ist notwendig und richtig, denn sonst wären überhaupt keine Aussagen über ein noch nicht fertiggestelltes Gebäude möglich.

Jedoch führen Abweichungen von den Annahmen bzw. Eingangsparametern der Berechnung nicht zu einer proportionalen, sondern zu einer nicht-linearen Änderung des Energieverbrauchs. Dies ist interessant, weil Gebäude, je nach Bauweise und Techniksystem, unterschiedlich auf Veränderungen der Eingangsparameter reagieren. Folgend genannte Untersuchungen zeigen, dass hochtechnisierte und -effiziente Gebäude dabei tendenziell sehr empfindlich reagieren, kleine Veränderungen in den Eingangsparametern führen zu einer starken Erhöhung des Energieverbrauchs.

Titelbild: Unterschied zwischen einem globalen und einem robusten Optimum;
Darstellung der TU München nach Rhein (Einfach Bauen 1)

Mit der Robustheitsanalyse steht eine Methode zu Verfügung, um getroffene Annahmen bzw. deren mögliche Abweichungen in der Realität hinsichtlich ihrer Auswirkungen bewerten zu können. In den folgenden Absätzen wird zunächst der Kontext erläutert und anschließend dargestellt, wie diese Methode genutzt werden kann, um die Auswirkungen falscher Annahmen bezüglich des menschlichen Verhaltens in Gebäuden abzuschätzen.

Zur ersten, allgemeinen Abschätzung der Auswirkungen benötigen wir aber noch keine komplexen Analysen, sondern können auf statistische Daten über gemessene Energieverbräuche und den vorher in der Planung berechneten Energiebedarfen zurückgreifen.

Die Verbrauchs-/Bedarfsabweichung

Zunächst führt unberücksichtigtes menschliches Verhalten zu einer Verbrauchs-/ Bedarfsabweichung durch Rebound-Effekte. Empirische Erhebungen zeigen, dass der gemessene Energieverbrauch bei hocheffizienten Gebäuden ca. 5% über dem für dieses Gebäude nach EnEV (Energieeinsparverordnung) prognostizierten Energiebedarf liegt. Dies bedeutet, es wird mehr Energie verbraucht als vorab berechnet. Im Gegensatz hierzu liegt der durchschnittliche Verbrauch bei weniger effizienten Gebäuden mehr als 25% unter den im Voraus bestimmten Werten. Dies zeigt die folgende Abbildung, in welcher der Verbrauchsfaktor (berechnet als gemessener Verbrauch geteilt durch den berechneten Bedarf) für die verschiedenen Effizienzklassen des Energieausweises dargestellt sind (Dämmbarkeit des deutschen Gebäudebestands). Insbesondere verringert der Mensch durch sein Verhalten die Wirkung der Technik – in besser gedämmten Gebäuden wird etwa hemmungsloser geheizt, da das weniger teuer (bzw. weniger klimaschädlich) ist als in einem ungedämmten Altbau (Rebound Effekt).

Neben der Innenraumtemperatur wurden auch Warmwassernutzung, Lüftungsverhalten, Nachtabsenkung und Teilheizung als weitere Einflussfaktoren identifiziert, über die menschliches Verhalten den realen Energieverbrauch beeinflusst.

Widmen wir uns nun der Robustheitsanalyse, mit der die TU München einen anderen Weg geht, um die Auswirkungen von Schwankungen in den Eingangsfaktoren – wie eben dem menschlichen Verhalten – abzuschätzen.

Abbildung 1: Mittlerer Energieverbrauch in Abhängigkeit vom Energiebedarf
Verbrauchsfaktor = gemessener Verbrauch / berechneter Bedarf
(Bildquelle: Dämmbarkeit des deutschen Gebäudebestands)

Robustheit im Bauwesen

Der Begriff Robustheit wird in vielen Disziplinen verwendet – umschrieben etwa als „Fehlertoleranz“ (Informatik), „termingerechte Produktion trotz unerwünschter Einflussgrößen“ (Produktion), „reproduzierbare und standardisierbare Ergebnisse trotz Variabilität der zu analysierenden Probe“ (Diagnostik) oder auch „evolutionäre Beständigkeit eines bestimmten Merkmals“ in der Biologie.

Die TU München verwendet in ihrer Forschungsreihe „Einfach Bauen“ den Begriff der „robusten Optimierung“, bei dem „ein System im Sinne eines Designs bzw. Prozesses (Technologie, Produkt) dann als robust bezeichnet [wird], wenn es gegenüber den Schwankungen der Eingangsfaktoren minimal sensibel bzw. unempfindlich [ist]“. Und erläutert: „Der Graph [siehe Titelbild, Anm. d. Autors] zeigt den Unterschied eines globalen und eines robusten Optimums – reduziert auf zwei Parameter: die unsichere Eingangsgröße (Δx) und die davon beeinflusste Zielgröße der Funktion (Δy). Das Ergebnis des globalen Optimums (Δy1) ist erheblich von der Schwankung der Eingangsgröße beeinflusst. Demgegenüber wirkt sich dieselbe Streuung der Eingangsgröße (Δx) beim robusten Optimum (x2) nur geringfügig auf das Ergebnis aus (Δy2).“ (Einfach Bauen 1)

Unsichere Randbedingungen in der Robustheitsanalyse

Die TU München hat zunächst für einen „Best-Case“ den Energieverbrauch für einzelne Räume in verschieden gebauten Gebäuden ermittelt. Die sechs betrachteten Bauvarianten sind:

  • Vier Einfach Bauen-Varianten:
    • Mauerwerk einstofflich,
    • Leichtbeton einstofflich,
    • Holz-Hybrid, und
    • Holz einstofflich (mit Sonnenschutz),
  • eine Standardvariante nach EnEV 2014/16 („Standard“), sowie
  • eine Niedrigenergie-/Passivhausstandard-Variante („Niedrigenergie“).

Anschließend wurden die folgenden vier Eingangsparameter entgegen der üblichen (normativ richtigen) Annahme als „unsicher“ eingestuft und für die Energieverbrauchsermittlung „extrem“ verändert:

  • das Klima,
  • das Nutzerverhalten,
  • die internen Gewinne bzw. Lasten, sowie
  • der Sonnenschutz. 

Auch wenn die TU München hier von „extremen“ Veränderungen spricht, die Szenarien erscheinen durchaus realistisch: milderes Wetter durch Klimawandel bis 2045, Personen lüftet nicht dauerhaft, auf ca. 20W/m² verdoppelte interne Lasten (beispielsweise Laptops und Bildschirme) Ausfall des Sonnenschutzes.

In Bezug auf das menschliche Verhalten sind die Kriterien „Personen lüftet nicht / dauerhaft“, aber auch „Ausfall des Sonnenschutzes“ interessant, da „Ausfall“ etwa gleichbedeutend mit „übersteuert“ ist. 

Während – wie erwartet – die benötigte Heizwärme durch Dauerlüftung bei allen Bau-Varianten steigt, sind die Auswirkungen bei einem „Niedrigenergiehaus“ am höchsten. Diese Varianten ist mit einer maschinellen Lüftungsanlage ausgestattet und in der normativen Berechnung daher am effizientesten. Ein offenes Fenster kann dieses Konzept jedoch so stark stören, dass der Energieverbrauch in diesem Szenario alle anderen Varianten übersteigt. (Siehe Abbildung 2) (Einfach Bauen 1)

Abbildung 2: Robustheit der Varianten bezüglich ihres Heizwärmebedarfes
(Bildquelle: Einfach Bauen 1)

Neben dem Energieverbrauch wurde in der Robustheitsanalyse der TU München auch der Komfort bezüglich der Innentemperatur im Sommer („Übergradstunden“) analysiert (s. Abb. 3). Hier haben zusätzliche innere Lasten (z.B. in Form von elektrischen Geräten wie Laptops und Bildschirmen) die größten Auswirkungen. Hochtechnisierte Gebäude reagieren hierauf ebenfalls, wie auf den Ausfall des Sonnenschutzes, am empfindlichsten. (Einfach Bauen 1)

Abbildung 3: Robustheit der Varianten bezüglich ihres Sommerlichen Wärmeschutzes
(Bildquelle: Einfach Bauen

Anwendung von Robustheitsanalysen im Gebäudeplanungsprozess

Robustheitsanalysen können einen wertvollen Beitrag für zukunftsfähige Gebäudeplanungen und -designs liefern. Im Rahmen von thermodynamischen Gebäudesimulationen, die für größere Mehrfamilien- und Nichtwohngebäude üblich sind, lassen sich viele der hier betrachteten Kriterien unkompliziert variieren. Gut aufbereitet bereichern die Ergebnisse Entscheidungsvorlagen für die Bauherren und können so zu einer Sensibilisierung der Thematik führen.

Fazit

Im Gebäudeplanungsprozess müssen Annahmen getroffen werden. Viele dieser Annahmen haben entscheidende Auswirkungen auf die grundsätzliche Bauweise und gewählte technische Ausstattung. Mit der Robustheitsanalyse kommen wir dem Ziel, Energieeffizienz und Komfort in Gebäude sicher auf hohem Niveau halten zu können, einen Schritt näher. Zugleich können wir unsere Annahmen bzw. deren mögliche Abweichungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen bewerten und falls nötig korrigieren.    

Die Auswirkungen von unberücksichtigtem menschlichem Verhalten auf den Energieverbrauch von Gebäuden liegen statistisch bei ca. +5%/-25%. Die TU München zeigt, das „extremes“ Verhalten je nach Art zu einer Verdopplung oder Halbierung des Energieverbrauchs führen kann und hochtechnisierte Gebäude dabei am empfindlichsten reagieren. Ein ähnliches Bild zeigt die Betrachtung des sommerlichen Wärmeschutzes, eins der Hauptkriterien für Komfort.

Möchte man die Ergebnisse dieser empirischen Ermittlung mit denen der Robustheitsanalyse detailliert vergleichen, fallen einige nicht übereinstimmende Faktoren bzw. Kriterien auf. In der Robustheitsanalyse der TU München fehlen Innenraumtemperatur, Warmwassernutzung, Nachtabsenkung und Teilheizung, während ifeu/Beuth interne Lasten und den Ausfall bzw. die Übersteuerung des Sonnenschutzes nicht betrachtet haben. Diese Kriterien zu vervollständigen könnte Teil von weiteren Untersuchungen sein.

1 Kommentar zu „Teil Drei: Die messbaren Auswirkungen von unberücksichtigtem Nutzerverhalten“

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