Teil Eins: „Fehlverhalten“ im Gebäude und die Methoden des System Thinking
Aus: Smarte Bürogebäude – Fluch oder Segen? Menschliche Bedürfnisse und die „Smartifizierung“
„Menschliche Bedürfnisse zu verstehen ist sicher keine klassische Disziplin in der Gebäudetechnik. Ohne es verallgemeinern zu wollen: So manch alter Haudegen aus der Gebäudeautomation hat mir schon von „Nutzerfehlverhalten“ erzählt. Das individuelle Verhalten wird demnach als Störung der Steuerungsprogramme betrachtet. Im besten Fall führt diese Sichtweise beim „Profi“ zu einem Wunsch nach Aufklärung: „Die Technik funktioniert soundso, von Ihnen als Nutzer:in wird dieses oder jenes Verhalten erwartet!“. Dem (Fehl-)Verhalten zu Grunde liegende Wünsche und Bedürfnisse werden maximal oberflächlich anerkannt. Die Folge sind Konflikte, die erwartete bzw. berechnete Energieeffizienz des Gebäudes wird nicht erreicht und der Komfort leidet.“ (imho)
Die messbaren Auswirkungen von unberücksichtigtem menschlichem Verhalten hinsichtlich Energieeffizienz und Komfort können sehr gut mit der Methode der Robustheitsanalyse (Teil 3 dieser Artikelserie) untersucht werden. Um hingegen die zu Grunde liegenden menschlichen Bedürfnisse zu verstehen, bietet sich die Methode des System Thinking an.
System Thinking und das Verständnis von Verhalten, Bedürfnissen und Gesamtzusammenhängen
Inzwischen werden die Menschen in den Gebäuden von der Baubranche deutlich weniger als „Problem“ und mehr als Kund:innen wahrgenommen. So erstellen z.B. einigen Immobilienentwicklungsunternehmen User Journeys nicht nur in Bezug auf das Marketing, sondern auch auf die Interaktion mit und im Gebäude. User Journeys sind allerdings nur ein erster Schritt in Richtung eines Designs, das die Menschen in den Vordergrund stellt. Ohne ein tieferes Verständnis von Verhalten, Bedürfnissen und Gesamtzusammenhängen bleiben viele Gründe für Unzufriedenheit unentdeckt.
Dieses tiefe Verständnis zu fördern und zu verbreiten, um damit Grundlagen für eine verbesserte Entwicklung von Gebäuden und Gebäudetechnik zu legen, war Ziel einer Kooperation zwischen der SBIF und Studierenden des Studiengangs „System Thinking“ der HTW Berlin. Die HTW beschreibt System Thinking folgendermaßen:„[Das ‚System Thinking‘ liefert] einen Ansatz für die Analyse als auch die optimierende Bearbeitung von Entscheidungs- und Problemlösungsprozessen […]. Das Studium in diesem Schwerpunkt befähigt die Studierenden an sogenannten „Wicked Problems“ zu arbeiten und komplexe Systeme wie Produktsysteme, Prozesse, Regelwerke und Komponenten zu entwickeln. Mit der Methode des System Thinkings werden die Bedingungen analysiert, dynamische Verknüpfungen erkannt, sowie Prinzipien und Prozesse vermittelt. Dabei dient das System Thinking auch zur Förderung der Empathie um Gesamtzusammenhängen und Themen erkennen und formulieren zu können.“ (Systemdesign HTW-Berlin)
Im Rahmen der Kooperation haben die Studierenden mehrere Personen auf dem Schindler-Camus in Berlin bei Ihrer täglichen Arbeit begleitet und interviewt.
Eine erste Erkenntnis von Erwartungen, Verantwortung und Kommunikation
Eine Erkenntnis, die die Studierenden mit den Schindler-Mitarbeiter:innen erarbeitet haben, betrifft Erwartungen, Verantwortung und Kommunikation:
Es wird erwartet, dass die „smarte“ Technik alles im Griff hat und das Gebäude energetisch optimiert betreibt. Dies alles vollautomatisch, ohne manuelle Handgriffe und bei maximalem Komfort erfolgen.
Damit liegt die Verantwortung für Energieeffizienz bei der Technik bzw. in den Entwicklungsabteilungen und bei dem Betriebspersonal des Gebäudes. Da die Technik selbst aber die individuellen und tagesformabhängigen Bedürfnisse der Nutzer:innen nicht kennt (und auch nicht kennen kann), ist eine dauerhafte Sicherstellung des optimalen gewünschten Komforts nicht möglich. Eine gut funktionierende Effizienz-Komfort-Optimierung erfordert also eine Zusammenarbeit zwischen Technik und Mensch, weshalb eine gewisse Art der Interaktion und beidseitigen Kommunikation unumgänglich ist. Die üblichen Einstell- und Übersteuerungsmöglichkeiten besitzen keinen Feedback-Kanal, welcher den der sie bedienenden Person eine Rückmeldung gibt, und reichen damit nicht aus. Es fehlen geeignete Lösungen, die die Nutzenden über die (Aus-)Wirkungen ihres Handelns informieren. In den folgenden Artikeln unserer Serie werden wir dieses Wissen auf einige Beispiele anwenden.
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Pingback: Teil Zwei: Beidseitiges Feedback – Eine neue Sichtweise auf Interaktionen - SBIF